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SÜDRING AKTUELL

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Titelthema Südring Aktuell

Bestimmt_selbst

"Die Menschen sind viel selbstständiger geworden."

Zum fünften Geburtstag sprechen wir über die Erfolge von "Mein Kompass".
 
 

Ein Sommertag Ende August im Südring: Die Halle ist festlich geschmückt und gut gefüllt, um im Rahmen des sogenannten Eisgrillens von Wunschwege fünf Jahre „Mein Kompass“ zu feiern. Vorne steht Florian Haß. Er ist sichtlich stolz, als er die von ihm erreichten „Mein Kompass“-Ziele präsentiert. Er ist jetzt mit dem Fahrrad unterwegs, von der Wohngruppe zur Arbeit und sonst auch überall in der Stadt. Eine große Errungenschaft und eine große Leistung. Heftiger Applaus begleitet das zweite umgesetzte Ziel: ein rosa Smartphone hängt in einem Brustbeutel um seinen Hals. Florian Haß nutzt es, um in der Whatsapp-Gruppe seiner Familie mitzureden.

Rückblende

Gvantsa Reumann, Leitung der Lernwerkstatt Friesenweg sowie der Tagesstätte Gaußstraße, denkt einige Jahre zurück an die Zeit, als sie im Neugrabener Dorf arbeitete, wo Florian Haß wohnt. Damals, so Gvantsa Reumann, hatte Florian Haß es mitunter schwer. Sein Verhalten konnte herausfordernd sein, oft landete in der Rolle des Störenfrieds. „Als ich Florian Haß auf der Bühne erlebt habe, ist mir das Herz aufgegangen. Er war so selbstbewusst, hat so große Erfolge zu feiern. Es war so eine definitive Entwicklung, die ‚Mein Kompass‘ mit seiner ressourcenorientierten Arbeitsweise und sozialräumlichen Denkweise befördert hat.“ Doch was bedeutet das genau? Wie hat „Mein Kompass“ seit der Einführung 2018 das Leben der Klient*innen und Mitarbeitenden verändert?

Von defizitorientiert zur ressourcenorientiert 

Mit der individuellen Hilfeplanung ermittelten soziale Anbieter in der Eingliederungshilfe die Unterstützungsbedarfe der Klient*innen. Als diese 2016 bis 2017 im Rahmen der UN-Behindertenrechtskonvention und des Bundesteilhabegesetzes überarbeitet wurde, entwickelte Leben mit Behinderung Hamburg „Mein Kompass“ als internes Fachkonzept. Drei Prämissen wurden dabei zu Leitzielen:

  1. Der Mensch ist die Hauptperson.
  2. Der Mensch nutzt die eigenen persönlichen Ressourcen.
  3. Der Mensch nutzt die sozialräumlichen Ressourcen.

Selbstermächtigung steht im Fokus der neuen Herangehensweise. Céline Müller, Leitung von „Mein Kompass“: „Der Blick auf die Menschen ändert sich. In der Vergangenheit gab es oft ein behördliches Schema, in welches sie passen mussten. Welche Behinderung oder welches Syndrom hat die Person und was muss gefördert und normalisiert werden? Wir fragen nicht mehr: ‚Was kannst du nicht?‘ Jetzt geht es darum, mit dem Menschen gemeinsam zu schauen: Wie können wir dich unterstützen? Unsere Fragen geben Raum und sollen ergründen: Wo liegen deine Stärken und wo willst du hin? Aus Assistenznehmenden sind Akteur*innen geworden, die ihre eigenen Ziele erreichen wollen. Und diese Ziele können ganz anders als unsere Vorstellungen sein.“ Gvantsa Reumann berichtet von Veränderungen in der Praxis: „Ich beobachte, dass die Menschen, die bei uns in der Tagesstätte arbeiten, viel selbstbewusster sind. Sie erreichen eigene Ziele. Die Gefahr bestand, das Ihnen Entscheidungen über lange Zeit abgesprochen wurden. Oder wir haben nicht richtig zugehört. ‚Du willst Astronautin werden? Das geht doch nicht‘, haben wir gesagt. Nun setzen wir uns damit auseinander, was der Wunsch hinter der Aussage ist. Wir haben jetzt das Handwerkszeug, um zusammen Möglichkeiten zu entdecken und Lösungen zu finden.“

Neue Perspektiven

„‘Mein Kompass‘“ ermöglicht Selbstermächtigung durch eigene Ziele, eröffnet neue Perspektiven. Teilhabe erweitert sich zu Teilgabe“, so Céline Müller. „Neue Fragen ergeben sich. Zum Beispiel: ‚Wo kann ich aktiv etwas geben und zur Gesellschaft beitragen?‘“ Der Begriff Teilgabe lässt sich anhand eines Beispiels verstehen: In einer Tagesstätte wollte ein Beschäftigter eine wichtige Aufgabe übernehmen. Als Ergebnis von „Mein Kompass“ führt er jetzt Beschäftigte und Mitarbeitende am ersten Tag herum und stellt alle namentlich vor. Gleichzeitig ist „Mein Kompass“ immer bezogen auf Fähigkeiten und Kompetenzen skalierbar. „Manchmal geht es auch darum, herauszufinden, dass jemand ihren*seinen Kaffee jeden Morgen mit Kuhmilch im St.-Pauli-Becher trinken will.“

Umdenken bei den Mitarbeitenden

„Mein Kompass“ hat in den letzten fünf Jahren viel für die Klient*innen von Leben mit Behinderung Hamburg verändert. Doch nicht nur für diese; Die Mitarbeitenden sind dabei ebenso durch einen Veränderungsprozess gegangen. Gvantsa Reumann: „Mitarbeitende werden in ‚Mein Kompass‘ geschult und Wirkungsdialoge zur Reflexion von Ergebnissen werden durchgeführt. Es sind Reflexionsprozesse der eigenen Arbeit nötig und man sollte dafür offen sein, die Perspektive der anderen Menschen zu sehen. Wir merken, nur, weil wir das Fachpersonal sind, liegen wir nicht immer richtig. Der Gewinn durch ‚Mein Kompass‘ ist enorm und die Arbeit für alle viel wertschätzender. Es ist unsere Aufgabe, uns auf den Weg zu machen und Menschen zu ermächtigen.“ Mit viel Glitzer und Glamour wurde dies im August gebührend gewürdigt, denn es sind Menschen wie Florian Haß, die zeigen: wir gehen den richtigen Weg.

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